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Der Angeklagte war freizusprechen, laut Amtsgericht  Hannover (vom  Januar 2011 – 123/10). Der Entscheidung lag der Fall eines türkischen Staatsbürgers zugrunde, der ohne Visum zu touristischen Zwecken nach Deutschland eingereist war. Am 28. November 2010 wurde er von der Polizei am Flughafen Langenhagen festgenommen. Seit dem befindet er sich in Abschiebehaft in der jva. Es sei schon zweifelhaft, ob das Verhalten des Angeklagten „überhaupt den Tatbestand des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet“ erfüllt, so die Richter in der Urteilsbegründung.  Der Verteidiger des Angeklagten berief sich auf die so genannte „Soysal-Entscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Februar 2009 (C-228/06). Diese Entscheidung beziehe sich zwar formal nur zur Frage der aktiven Dienstleistungsfreiheit, gelte aber auch für Touristen (passive Dienstleistungsfreiheit). Eine Unterscheidung zwischen der aktiven Dienstleistungserbringung und der Entgegennahme von Dienstleistungen sei nicht möglich, da die eine ohne die andere nicht denkbar sei. Das Strafgericht schloss sich der Auffassung des Angeklagten „grundsätzlich“ an. Auf die Frage, ob hier die „Soysal-Entscheidung“ greife oder nicht, komme es aber nicht an. Diese Frage, könne nicht einmal von deutschen Juristen mit eindeutig „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Insofern könne man von einem rechts- und sprachunkundigen türkischen Staatsangehörigen erst recht nicht verlangen, dass er die mögliche Strafbarkeit seines Tuns erkennt. Hier liege weder Vorsatz noch Schuld vor, weil der Angeklagte auf Grund der „Soysal-Entscheidung“ der Überzeugung gewesen sei, visumsfrei einreisen zu können.

Damit setzt auch das AG Hannover die Bundesregierung unter Druck, denn obwohl bereits mehrere Entscheidungen vorliegen, wonach türkische Staatsangehörige kein Visum benötigen, wenn sie zu touristischen Zwecken in das Bundesgebiet einreisen möchten, hat die Bundesregierung noch nichts umgesetzt. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Bundesregierung die Umsetzung der Soysal-Entscheidung hinausschieben kann.

Verfasser: Sagsöz