Das Neutralitätsgebot an öffentlichen Schulen rechtfertigt es nicht, muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs generell zu verbieten, entschied das Bundesverfassungsgericht. Damit sind auch Abmahnungen und Kündigungen rechtswidrig, die auf das Verbot gestützt werden.
Auch wir bearbeiten derartige Fallkonstellationen, welche wegen der Anhängigkeit beim BVerfG ausgesetzt wurden. Nun ist die Entscheidung endlich da.
Nach § 57 Abs. 4 Satz 1 des Schulgesetzes für Nordrhein-Westfalen (SchulG NRW) dürfen Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen keine religösen Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern zu oder den Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. In Nordrhein-Westfalen wurde Lehrerinnen untersagt, während des Dienstes in der Schule als Audruck ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch zu tragen. Bei fortgesetzter Weigerung, das Kopftuch abzulegen, sprachen das Land bzw. die Schulbehörde Abmahnungen und im Wiederholensfalle Kündigungen aus. Zwei Klägerinnen, die wegen des Tragens eines Kopftuchs abgemahnt worden waren, erhoben Verfassungsbeschwerde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hob die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen auf und verwies die beide Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die zuständigen Landesarbeitsgerichte (LAG) zurück. Bei ihrer neuen Entscheidung müssen die Gerichte Vorgaben beachten:
Der Erste Senat des BVerfG entschied mit 7 von 9 Richterstimmen, dass die Entscheidungen des BAG und der Landesgerichte die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt haben. Dieses Grundrecht gewährleiste auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen.
Der mit dem Kopftuchverbot an nordrhein-westfälischen Schulen verbundene Eingriff in die Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerinnen wiege schwer. Sie hätten plausibel dargelegt, dass es sich für sie – entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam – um ein als verpflichtend verstandenes religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt. Das Verbot berühre zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität, so dass das Verbot dieser Bedeckung im Schuldienst für sie sogar den Zugang zum Beruf verstelle (Art. 12 Abs. 1 GG).
§ 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 und § 58 Satz 2 SchulG NW greifen in diese Grundrechte ein, soweit Pädagoginnen und Pädagogen durch Kleidung und äußeres Erscheinungsbild eine religiöse Bekundung abgeben. Die Bestimmungen müssen daher im Sinne der Grundrechte einschränkend ausgelegt werden.
Soweit die Arbeitsgerichte § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW so ausgelegt haben, dass schon eine eine bloß abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität genügt, um das Tragen eines Kopftuchs zu untersagen, sei dies unverhältnismäßig, entschied das BVerfG. Grundsätzlich verfolge das Verbot religiöser Bekundungen zwar legitime Ziele, nämlich die Wahrung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität.Diese Ziele würden aber durch das bloße Tragen eines islamischen Kopftuchs oder anderer Symbole wie der jüdischen Kippa oder ein christliches Nonnen-Habit nicht beeinträchtigt. Daher sei ein Kopftuchverbot erst dann zu rechtfertigen, wenn im Einzelfall eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist. Selbst dann werde jedoch zuerst eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit der Betroffenen in Betracht zu ziehen sein.
RA Alpan Sagsöz 0228 9619720